Abituri 2003 - Rede der Schulleiterin zur Entlassungsfeier am 28.06.2003
Ein herzliches Willkommen Ihnen allen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe Angehörige, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Ehemaligen und Freunde des Max-Planck-Gymnasiums, wir sind heute zusammenkommen um gemeinsam festlich zu beenden, was (in der Regel) vor 9 Jahren hier an gleicher Stelle begonnen hat: die gymnasiale Schulzeit von 76 Schülerinnen und Schülern. Am 8. August 1994 haben Sie, liebe Eltern, uns Ihre Kinder anvertraut auf einen Weg, den mein Vorgänger, Herr OStD a.D. Graff, mit Recht gerne mit einem Marathon verglichen hat. In den neun Jahre habt Ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, eine lange Wegstrecke mit uns gemeinsam zurückgelegt, bei der Höhen und Tiefen unvermeidlich waren: Einsicht und Erkenntnis stellt sich selten ohne Anstrengung ein, sondern gründet sich auf Wissen, dass langsam, langwierig (manche werden ergänzen nervtötend zäh) erworben werden musste. Dies hat natürlicher Weise sowohl Freude an der gewonnenen Erkenntnis als auch Frust über abverlangte Leistungsnachweise, Zufriedenheit aber auch Enttäuschungen zur Folge gehabt und nicht alle haben die Schluchten überwinden können, die nicht gelernte Vokabeln oder mathematische Formeln aufgetan haben. Ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, habt das Ziel allen Unwägbarkeiten zum Trotz erreicht und es ist mir persönlich eine Freude, Euch herzlich im Namen der gesamten Schulgemeinde und sicherlich auch im Namen unserer Gäste zur bestandenen Abiturprüfung zu gratulieren und Euch für eure Zukunft Glück und Erfolg, Zufriedenheit und Erfüllung zu wünschen. Liebe Eltern, auch für Sie ist heute ein besonderer Tag, an dem Sie sich vielleicht an den 8.8.1994 erinnern und nunmehr zufrieden feststellen können, dass Ihre damaligen Wünsche und Erwartungen bezogen auf den Schulabschluss in Erfüllung gegangen sind. Wer weiß besser als Sie, dass dieser Marathon nicht immer einfach war und sie als Streckenbetreuer und Versorgungsstation auch brenzlige Situationen zu bewältigen helfen mussten. Danke auch für die Unterstützung, die wir erfahren haben. Freuen Sie sich heute gemeinsam mit Ihren Kindern über den erzielten Erfolg. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abiturfeier ist auch für Sie einer der markanten Augenblicke in einem Schuljahr, in dem innegehalten und reflektiert wird, Bilanz gezogen über den ersten oder wie in diesem Jahr für zwei Kollegen- über den letzten Abiturjahrgang eines langen Lehrerdaseins. Wie für Ihre Leistungskursschülerinnen und schüler endet auch für Sie, Herr Beckers und Herr Eckel, die Schulzeit mit diesem Jahr, herzlichen Dank besonders Ihnen aber auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen, die mit ihrem Einsatz die Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss der Abiturientinnen und Abiturienten gelegt haben. Von besonderer Bedeutung für eine Jahrgangsstufe sind die Jahrgangsstufenleiter, die in diesem Jahr erstmals im Team diese Aufgabe bewältigt haben und beiden kann definitiv bestätigt werden, dass sie sich als Team hervorragend ergänzt und bewährt haben: Frau OStR’ Gürtler und Herr OStR Lorentzen. Sie beide haben diese Stufe nicht erst seit der Oberstufe begleitet, sondern bereits zuvor als Klassen- oder Fachlehrer. Dies hat Sie zu profunden Kennern der Befindlichkeiten Ihrer Schülerinnen und Schülern gemacht. Sie waren stets mit Rat und Tat an deren Seite und haben in schwierigen Situation feinfühlig vermittelt. Dabei war Ihnen durchaus klar, dass nicht jede oder jeder rechtzeitig Ihre warnenden Worten verstanden haben, aber auch die haben bekannt, dass die Spielregeln klar und präzise waren, sie hilfreich unterstützt wurde aber Verantwortung für das eigene Tun kann auch der engagierteste Lehrer seinen Schülerinnen und Schülern nicht abnehmen. Ich danke Ihnen für die von Ihnen erbrachte Arbeit für Ihr Stufe. Zu den besonders schönen Traditionen des Max-Planck-Gymnasiums gehört es, dass ehemalige Schülerinnen und Schüler aber auch ehemalige Kolleginnen und Kollegen diesem Tag beiwohnen, um ihre Verbundenheit mit unserer Schule zum Ausdruck zu bringen. Angekündigt sind u.a. - Gruppen von Ehemaligen, die vor fünf Jahren und vor zehn Jahren das Abitur abgelegt haben. - Es ist mir eine große Freude, zwei Ehemalige zu begrüßen, die 1953, also vor 50 Jahren, die Reifeprüfung am Max-Planck-Gymnasium abgelegt haben. Meine Herren, es ist uns eine Ehre, dass Sie auch heute mit Ihrer Gegenwart unseren Festakt bereichern. Es hat mich tief bewegt, als ich von Ihnen Fotos und Berichte von Ihrem Klassentreffen am 13. März diesen Jahres erhielt, dass Sie als ersten Tagesordnungspunkt Ihrer Wiedersehensfeier den Weg zu den Gräbern zweier Lehrer gesucht haben, Herrn Walter Springhorn und Herrn Philipp Spoo. Diese Lehrer haben augenfällig nachhaltig auf Sie gewirkt und Sie haben die Gelegenheit gesucht, beiden ihre Referenz zu erweisen, dies nach fünfzig Jahren. Mich erinnerte es an eine kleine Erzählung von Tschingis Aitmatow. Erlauben Sie mir, davon zu erzählen und sie noch weiter in die Vergangenheit zurückzuführen in das Jahr 1924 in ein kleines kirgisisches Dorf. Dort erschien eines Tages ein fremder Bursche in einem Soldatenmantel und er machte sich allen Widerständen zum Trotz daran, dort eine Schule zu gründen. ‚Schule’ und ‚Unterricht’ waren ganz neue Begriffe, und die Leute waren mehr als reserviert ob der Absicht, ihren Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen. Es war also keine Überraschung, dass die Unterstützung der Dorfgemeinde ausblieb und Düischen, der Lehrer, in mühevoller Kleinarbeit einen verlassenen Pferdestall zu so etwas wie einer Schule machte. Unter seinen Schülerinnen und Schülern war Altynai Sulaimanowa, ein nunmehr berühmtes Akademiemitglied, weitgereist und hoch geachtet, die in fortgeschrittenem Alter über ihren ersten Lehrer schrieb: „... er brachte uns alles bei, was er selber wusste, und hatte dabei eine erstaunliche Geduld. Über jeden Schüler beugte er sich und zeigte, wie man den Bleistift hält, und erklärte uns die Wörter, die wir nicht verstanden. Wenn ich heute daran zurückdenke, kann ich mich nicht genug wundern, dass dieser kaum lese- und schreibkundige Bursche, der selber nur mühsam die Worte zusammenbuchstabierte, der kein Lehrbuch, der nicht einmal eine elementare Fibel zur Hand hatte, dass er es wagte, ein so großes Werk in Angriff zu nehmen. ... Düischen unterrichtete uns so, wie er es verstand und intuitiv für richtig hielt. ... Diesen „... kirgisischen Kindern, die nie aus ihrem Ail herausgekommen waren, eröffnete die Schule wenn man sie so nennen konnte, die Lehmhütte, durch deren Spalten die Schneegipfel der Berge zu sehen waren plötzlich eine neue, nie gesehene, ungeahnte Welt.“ Ich wünsche euch sehr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, dass es uns Lehrerinnen und Lehrern gelungen ist, trotz aller Unterschiede zwischen dem Leben im kirgisischen Ail vor 80 Jahren und dem weltoffenen Leben in Düsseldorf, euch nie gesehenes und ungeahntes vermittelt zu haben, die Augen geöffnet und das Sehen gelehrt zu haben. Einen klaren Blick entwickelt zu haben für die vielfältigen Möglichkeiten, die sich für euch ergeben werden, wird euch helfen in der vor euch liegenden Nachreifungszeit (der emerging adulthood wie die Psychologen die Jahre zwischen 18 und 25 nennen) zu bestehen. Entlassen aus der Abhängigkeit der Kindheit, Jugend und Schulzeit aber noch befreit von der Verantwortung des Erwachsenen werdet ihr mit mehr Unsicherheiten und weniger Klarheit zurechtkommen müssen, permanente Veränderung und die Sicherheit, dass nichts sicher ist, ist der Preis für das lustgetonte „ab in die Freiheit“, dass ihr euch im Gottesdienst heute morgen ausgemalt habt. Begreift die Unwägbarkeiten der Zukunft nicht als Bedrohung sondern als Chance. Lasst euch nicht von Etiketten, die mit immer kürzer werdender Halbwertzeit euch in Schubladen packen möchten, wie die Generation Golf oder nunmehr en vogue die blockierte Generation, verunsichern. Man entgeht Etiketten nicht, viel entscheidender ist, wie man darauf reagiert. Hans Magnus Enzensberger hat dies kürzlich so ausgedrückt: „Was war ich schon alles: Darauf darf man keine Rücksicht nehmen, das muss man sich einfach in aller Gemütsruhe gefallen lassen und weitermachen mit dem, worauf es einem ankommt.“ Ihr habt in den vergangenen Jahren durchaus deutlich gemacht, dass Ihr die Absicht habt, genau dies zu tun. Manch ein Projekt, das Ihr in Angriff genommen habt, ist dabei nur unter Schmerzen geboren worden wie die Brechtaufführung des Literaturkurses, aber bei allen Schwierigkeiten, die letztlich um der Sache willen überwunden wurden, konnte das Ergebnis sich sehen lassen. Mit deutlichem Anspruch an Qualität habt Ihr z.B. das erste Schülerjahrbuch des Max-Planck-Gymnasiums zusammengestellt und habt hart verhandelt und euch nur wenige Kompromisse abhandeln lassen. Macht weiter mit dem, worauf es euch ankommt - aber tut es konsequent, zuverlässig und mit Anspruch. In diesem Sinne möchte ich Euch entlassen, ab in die Freiheit. |