Abituri 2003 - zwei kleine Reden zur Entlassungsfeier am 28.06.2003
Jahrgangsstufenleitung: Ulrike Gürtler und Wolfgang Lorentzen
- Ulrike Gürtler -
„Hier sitze ich, forme Menschen
nach meinem Bilde......“ (Goethe, „Prometheus“)
„Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!“ (Faust I, V. 439)
Nein, liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
so faustisch vermessen bin ich nicht.
„...Ich bin kein Gott
Und bilde mir (nur) so viel ein als einer.
Unendlich! Allmächtig!“ (Goethe, Prometheus Fragment)
Genau wie Sie, liebe Eltern, liebes Kollegium, liebe Ehemalige als Vertreter der übrigen Gesellschaft, bin ich sind wir Lehrer jeweils ein Prometheus, quasi seine ‚Klone’.
Wir alle haben Euch, liebe ‚Abituri’, bis heute geformt waren zumindest eifrig darum bemüht, geleitet von dem Bewusstsein:
‚Non scholae, sed vitae discimus’ (Wenn Seneca das auch anders gesehen hat: ‚Non vitae, sed scholae discimus’ (Seneca d.J., ep. 106) )
Lehm haben wir ja glücklicherweise nicht benutzt, aber auf Euren Geist, Euren Charakter haben wir bildend eingewirkt nach unserer Vorstellung von Welt, einer Welt von Gestern, Heute und Morgen.
Zum Glück seid Ihr ja nicht in eine feste „Form“ gegossen worden, die da steht „Festgemauert in der Erden ..., aus Lehm gebrannt.“ (Schiller „Das Lied von der Glocke),
sondern das Chamäleon Gesellschaft, dem Eure ‚Prometheus-Klone’ angehören, wird auch bestimmt von der ‚allmächtigen Zeit und dem ewigen Schicksal, ihren Herren’(frei nach Goethe „Prometheus).
Folglich haben wir, variantenreiche Abbilder des einstigen Prometheus, Euch völlig andere Inhalte gelehrt, nämlich solche, die in unsere Zeit passen, und wie sollte es anders sein Eurer Meinung nach längst obsolet sind. Sind sie das wirklich? Stimmt die Behauptung etwa nicht:
„Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
da kann sich kein Gebild gestalten;“ (Schiller „Das Lied von der Glocke“)
Wenn Schiller auch in einem anderen Kontext gedacht hat, so lässt sich dieses Zitat doch wohl so aktuell wie nie in den Mittelpunkt unseres heutigen Kontextes stellen.
Die Vielzahl aller Bildungselemente will ich hier nicht aufzählen. Wir haben Euch damit gefüttert, ob Ihr wolltet oder nicht, weil wir diese für sinnvoll halten. Die Herren ‚Zeit’ und ‚Schicksal’ werden irgendwann andere in den Mittelpunkt stellen, neue erfinden oder auch Altes aktualisieren.
Nun ist der Augenblick gekommen, da die jetzigen ‚Prometheus-Klone’ zurücktreten, um neuen ‚Prometheus-Klonen’ Raum zu geben, nämlich Euch.
Der antike Prometheus hat die Kritik seiner Geschöpfe nicht erlebt. Wenn sie aber Abbilder sind, dann tragen sie auch den Rebellen in sich, so wie Ihr, liebe ‚Abituri’. Ihr habt gegen Eltern, gegen Lehrer rebelliert mal mehr, mal weniger auf den verschiedensten Gebieten, habt Euch unserem Formungswillen entzogen, mit uns ringend angefangen, Euch selbst zu formen. Ihr seid nun Euer eigener Prometheus, auf der Suche nach Euch selbst und nach einer neuen Welt. Wir, die ‚alten Klone’ haben Euch ausgestattet und ich kann mit Recht und Stolz mich dem alten Prometheus anschließen:
„Ihr seid nicht ausgeartet meine Kinder!“ (Goethe „Prometheus Fragment).
Zufrieden und stolz blicken jetzt alle ‚Prometheus-Klone’ auf Euch, in dem Bewusstsein, Euch reichhaltigen geistigen Proviant für Eure Lebensreise mitgegeben zu haben, die Euch irgendwann zur Weisheit führt: ‚gnothi seautón’ (transskribiert) ‚nosce te ipsum’ ‚Erkenne dich selbst!’. (Inschrift des Apollotempels; einem der sieben Weisen zugeschrieben vermutlich Thales, um 620 543 a.Chr.n.)
- Wolfgang Lorentzen
Das geheimnisvolle „es“
Auch ich freue mich Sie alle besonders unsere Abiturienten - begrüßen zu dürfen...
Nur ein paar Worte!
Ich werde mich nicht auf komplizierte Phänomene des Oberstufenunterrichts konzentrieren, wie:
..die innenpolitischen Auswirkungen der Perserkriege auf Athen...
..die Bedeutung der glazialen Serie auf die LW von Mecklenburg...
..die industriehistorischen Implikationen des Elektromotors...
..oder warum der Begriff „Anomalie“ kein Mädchenname ist...
denn dafür und vieles andere sitzen heute hier unsere hochschulgereiften Experten.
Nein, es geht um ein Thema, das uns 3 Jahre in Atem gehalten hat,... es geht mir um "es"..
...es ist eher blässlich, meist leicht angestaubt und eher unscheinbar, schon wegen der geringeren Größe, mit Verlustgefahr verbunden, meist war es ein lästiges Ärgernis für uns alle...
...für die einen war es eher von geringem Interesse,
bei den meisten aus Mangel an Bedürfnis; bei einigen wenigen aber aus Mangel an Ernsthaftigkeit und Selbstverantwortung, das konnte sogar zu spürbaren bis nachhaltigen Konsequenzen führen...
...für die anderen war es durchaus von Wichtigkeit, geradezu ein Objekt der Begierde; Unruhe und manchmal fast Verzweiflung kamen auf, war die Verfügbarkeit gering oder gar - nicht gegeben...
Konnte man seiner habhaftig werden, war allerdings oft die eigene phantasievolle Kreativität gefordert natürlich auch die Hilfe der Mitschüler oder des Internets häufig war das Ergebnis mehr Schein als Sein...
In den letzten Wochen hat seine Bedeutung drastisch abgenommen; der absolute Nullpunkt ist heute erreicht.
Das E-Formular ist obsolet! Oder scheint das vielleicht nur so zu sein??
Sein Grundgedanke zumindest wird Euch weiter wie ein Papierflugzeug wenn man es dazu macht - durch Euer Leben mitbegleiten...
...seine Grundidee eine Entschuldigung, ist auch vielfältig einsetzbar fast multifunktional einsetzbar bei Freunden und Freundinnen, besonders bei den ehemaligen, den Eltern und allen, denen ihr nahe kommt und sogar bei euch selbst aber bitte mit kritischer Vorsicht bei Lehrern? Passée!!
Wir wünschen Euch, dass ihr Entschuldigungen möglichst selten einsetzten müsst, aber wenn es notwendig ist, habt den Mut dazu, sei es noch so schwer.
So, damit ihr diese seine Grundidee nicht sofort vergisst, liegt eurem Zeugnis ein unbeschriebenes Freiexemplar bei;...
Ihr könnt es ausfüllen, an die Wand hängen, in den Kopf hängen, ein Papierflugzeug daraus machen...
Aber macht etwas draus.
Noch viel wichtiger ist natürlich:
Macht etwas aus Euch!!! Nutzt eure Chancen, aber verliert dabei nicht an Menschlichkeit!!!
Dazu wünschen wir Euch alles Gute!
- Gürtler/Lorentzen -
Lorentzen:
Wir wünschen Euch alles Gute,
stets seelische und geistige Stärke
in allen Lebenssituationen
Gürtler:
denn „mit des Schicksalsmächten
ist keine ew’ger Bund zu flechten“ (Schiller „das Lied von der Glocke)
Lorentzen:
Mögen Eure Lebenspläne sich immer so leicht umsetzen lassen:
Gürtler:
‚Loch gebuddelt,
Bronze rin,
Glocke fertig!
Bim-Bim-Bim.’